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Nachruf auf einen aussergewöhnlichen Bundespräsidenten

 

Nun hat er hingeschmissen. Scheinbar unvermittelt alle überraschend. Aber war es wirklich so? Horst Köhler war kein Politiker, sondern zunächst im Finanzministerium tätig, dann aufgestiegen zum Chef des IWF, persönlich engagiert in Afrika, dem hier eher ungeliebten Kontinent. Er war der Favorit von Angela Merkel und Guido Westerwelle, die ihn  als Bundespräsidenten aufgebaut und inthronisiert haben. Mit eigener Hausmacht gut verankert in der Parteipolitik war er nicht als Seiteneinsteiger. Dort fehlte ihm zum Schluss auch die offene Unterstützung seiner Mentoren. Dieser Präsident wurde zu einem parteipolitischen Problem weil er sich zu einem echten überparteilichen  Bürgerpräsidenten entwickelte, damit der Parteilenkung entglitt,  der zudem eine eigene Meinung hatte und hoch fachkompetent ist und nicht nur ein parteiabhängiger "Frühstückspräsident" als treuer Parteisoldat, der zuhören konnte, der fachkompetent, freundlich, geduldig mit den Menschen umging und der gezielt und kompetent fragen und antworten konnte ohne politisch schwammig-unverbindliche Ungenauigkeiten, und er sagte was er für wesentlich hielt auch Kraft seiner Kompetenz. Einige seiner Reden waren Meilensteine der deutschen Geschichte, und sein Wort von der Notwendigkeit der Politik, auf die Bürger zuzugehen und den Zustand der "Zuschauerdemokratie" zu beenden war eine sehr deutliche Botschaft an das deutsche Volk wie die deutschen Parteien und Mandatsträger. Dort sicher als Tabu-Bruch verstanden.  Ein Bundespräsident lebt aus seiner persönlichen Integrität und Akzeptanz, wie aus seinem Wort und dem Gehör, dass es findet, also seiner öffentlichen Präsenz insbesondere in den Medien. Er wollte ein unbequemer Präsident sein, er war es sicher auch, er startete als "Super-Horst", wurde zum "Bundes-Horst" und zuletzt als "Schlossgespenst" demontiert aufgrund seines weitgehenden Verschwindens aus der ersten Reihe der "Ansagenden" in Deutschland. Dazu kamen Querelen in seinem Amt, die ihn ebenfalls offenbar lähmten, wo ihm vielleicht die Zügel entglitten oder gar aus der Hand genommen wurden. Die Parteipolitik holte ihn offenbar ein. Insbesondere das letzte Amtsjahr und das deutsche Krisenmanagement seit 2008 haben ihn wohl endgültig desillusioniert. Dabei ist Deutschland noch Profiteur der Krise aufgrund der Vorteile des schwachen EURO für die Exportwirtschaft, was in der EU teilweise als unsolidarisch und einseitig Vorteil nehmend zu Lasten der anderen Mitglieder schon kritisiert wurde.

Ich erinnere mich an seinen Auftritt in Braunschweig anläßlich der Journalistenpreisverleihung an die Braunschweiger Zeitung am 31.08.2009. Der Empfang fand vor geladenen Gästen im Dom statt, die Innenstadt war weiträumig abgesperrt worden aus Sicherheitsgründen, nur wenige Bürger - und die parteipolitisch handverlesen offenbar -  bekamen den Präsidenten überhaupt zu Gesicht. Selbst ein Ratsmitglied der Opposition wurde polizeilich bedroht als er eine Protestnote dem Präsidenten nahebringen wollte über jene, die ihn gerade hofierten. Der Präsident hielt eine ihm wichtige Rede über die Bedeutung und Qualität der Lokalzeitungen für die Demokratie. Die ausgezeichnete Zeitung hielt es nicht für nötig diese Rede zu veröffentlichen. Der Präsident sollte anschließend mit der Panzerlimousine den kurzen Weg zum Rathaus und dem Einkaufzentrum mit vorghehängter Schlossfassade gefahren werden, er bestand darauf zu Fuss zu gehen und Kontakt zum Bürger zu haben, von denen nur wenige überhaupt vorhanden waren. Nach dem Eintrag ins Goldene Buch war der Besuch beendet. Man hatte als Bürger das Gefühl: da wird jemand als Staffage eingeflogen und benutzt, mit weiträumiger Polizeieskorte wird der Bürger von ihm fern gehalten, er schüttelt die Hände ausgewählter Vorzeigebürger, er wird herumgereicht als Zierde wie ein Tanzbär, schnellstmöglich wieder hinauskomplimentiert und sein Wort ist selbst dem ausgezeichneten Preisträger keine Druckerfarbe wert. Das muss einen Mann von dem Format, der das natürlich bemerken muss, schwer verletzen, und in der Tat, so etwas beschädigt nachhaltig auch das Amt des Bundespräsidenten in jedem Falle. Da hat er völlig recht. Hier fehlt es am Respekt vor dem Menschen Köhler wie dem Amt des Bundespräsidenten. Vermutlich gab es etliche solche Vorgänge, aus denen der Bundespräsident entnehmen konnte was insbesondere die ausrichtende Parteipolitik wirklich über ihn dachte, und seine Mentoren korrigierten das offensichtlich auch parteiintern nicht. Ich bin damals erst gar nicht hingegangen da auch ich als einer der Braunschweiger "Missliebigen" gelte, der von der Polizei sicher abgefangen worden wäre und verfolgte dem Festakt im Dom im Livestream im Internet (immerhin). Natürlich war ich nicht eingeladen.  Gerade deshalb irritierte mich die Nichtveröffentlichung der Rede besonders, da ja in Deutschland Internet-Livestreams noch nicht "Allgemeingut" sind sondern Sachen für Kenner. Der Stream tauchte auch nicht im Folgeangebot der Zeitung neben Sportberichten etc. auf. Die Zeitung kann das als Downloadvideo bringen, tat es aber nicht. War ihr der Preis und der Besuch des Bundespräsidenten als Laudator nicht ehrenvoll und wichtig genug, die Leser ausführlich daran teilhaben zu lassen? Das fragen sich Etliche noch heute.

Die Kritik an seiner Aussage zum Afghanistan-Einsatz, sicher unglücklich formuliert und missverstanden, war dann offenbar der letzte Tropfen auf den heissen Stein, der die Explosion auslöste. Was hat der Präsident da wirklich gesagt? Dass Deutschland auch bereit sein muss wirtschaftliche eigene Interessen militärisch wahrzunehmen? Wie ist es zu bewerten dass die deutsche Elektroindustrie als Folge des deutschen Engagements in Afghanistan gegen internationale Konkurrenz den Wettbewerb um die Ausschreibungen der Neuaufrüstung der nationalen Stromversorgung gewann, mit hohen Bundeszuschüssen teure Technik nach Afghanistan brachte die dort heute teilweise verrottet weil einerseits die Kraftwerke fehlen und andererseits die Netzversorgung nicht funktioniert und weiterhin abenteuerlich improvisiert ist zum großen Unverständnis der Afghanen, die anderes für den Aufbau der zivilen Wirtschaft und Infrastruktur erwartet haben; die deutschen Hersteller haben ihr Geschäft gemacht. Natürlich war der Hinweis insoweit ein TABU-Bruch, da diese Vorgänge in der deutschen Bevölkerung weitestgehend unbekannt sind und denke ich wohl auch bleiben sollen. Aber er meinte selbst das nicht einmal, sondern die veränderte Lage seit dem 11. September 2001, zu der selbst die Grünen im Bundestag dem militärischen Sicherheitseinsatz u.a. am Horn von Afrika zugestimmt haben in seltener Einmütigkeit im Hohen Hause. Natürlich geht es in Afghanistan um die Sicherung der eigenen Wirtschaft und deren Verkehrswege, hier im Verbund mit der Sicherung der Weltsicherheit und der Weltwirtschaft als allgemeine Existenzgrundlage gegen den Angriff von fundamentalistischen Interessen, die ideologisch konkurrieren, zugleich um das Problem des sozialen und wirtschaftlichen Gefälles in der Welt, denn worum wird in Wahrheit gekämpft? Um die Teilhabe an dem Wohlstand und den Freiheiten die wir genießen. Es gibt dabei auf beiden Seiten Kräfte die das nicht wollen, warum auch immer. Wenn gesagt wird wir verteidigen am Hindukusch unsere Freiheit für Deutschland und den Rest der Welt, was tun wir da also und warum?

Man kann der oberflächlichen Kritik der Medien und vieler anderer zustimmen wenn kritisiert wird, der Präsident sei zu dünnhäutig, solche Kritik müsse er ertragen können, in einer Demokratie steht auch der Bundespräsident nicht über der Kritik sondern hat sich vor dem Volke zu rechtfertigen, und der Stil samt Begründung des Rücktritts schade dem Amt mehr als der Vorgang vorab. Aber wer dahinter schaut wird diesen fahrlässigen Umgang mit der politischen Demontage eines nonkonformen Präsidenten schnell fallen lassen müssen. Ich hätte mir gewünscht, der Bundespräsident hätte mit der Faust des präsidialen Kompetenz und der Autorität des Amtes wie seiner Person als beliebter Bürgerpräsident auf den Tisch geschlagen, die Aussage präzisiert und jene damit dahin getreten worauf sie sitzen, die ihn und sein Amt systematisch demontieret haben. Das wäre besser für Deutschland und die EU gewesen. Hier hat ihm vielleicht das Quäntchen Kämpfernatur gefehlt, dass Berufspolitiker haben die gelernt haben, bestimmte Interessen auch gegen jede rationale Vernunft durchzupauken weil es die Parteileitung befohlen hat. Aber nicht jedem Menschen ist in die Wiege gelegt, die physischen und mentalen Fähigkeiten für einen solchen Job als "Rampensau" zu haben wie man das in der Musiker- und Theaterszene nennt. Das muss man respektieren.

Der Hinwurf ist ein schwerer weiter destabilisierender Verlust für Deutschland und Europa. Ich sehe derzeit keinen Kandidaten der ihn ersetzen, ihm insoweit das Wasser reichen könnte. Ich sehe auch keinen der genannten "Parteisoldaten", auf den sich alle Menschen als Bürger einigen könnten, und für Seiteneinstiger ist dieses Ende ein abschreckendes Menetekel. Es wird länger dauern bis wir wieder einen Bundespräsidenten von wirklichem Format erwarten können, zumal die wirklich guten Leute ja wie sich nun bitter zeigt von den Alpha-Tieren der Politik als bedrohliche Konkurrenten weggebissen wurden in allen Parteien. Was also im Angebot ist, ist insoweit parteipolitisch "zweite Wahl". Das ist nicht gut für die nachfolgenden Kandidaten selbst, für Deutschland und noch weniger für Europa. Das schwächt die EU weiter in der Welt, und damit den EURO.

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Rev. 000/00 01.06.2010